Mitte Dezember stellte die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die „neue Wachstumsstrategie“ der Europäischen Union (EU) vor – den European Green Deal (EGD). In aller Bescheidenheit bezeichnete sie den EGD als „Europe’s man on the moon moment“. Ziel ist dieses Mal nicht der Erdtrabant, sondern ein klimaneutrales Europa bis ins Jahr 2050. Ähnlich wie bei der Mondlandung sind zur Erreichung des Ziels erhebliche Anstrengungen vonnöten. Und eine weitere Frage drängt sich auf: Wer soll das bezahlen?
In den nächsten zehn Jahren – also zur Erreichung der Klimaziele 2030 – sollen zunächst insgesamt 1 Billion Euro zur Verfügung gestellt werden. Zum besseren Verständnis: 1000 Milliarden Euro. Eine Menge Geld.
Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Die Schlüsselrolle zur Finanzierung sollen dabei der EU-Haushalt, private und öffentliche Gelder spielen. Also eigentlich Alle. Geplant ist, dass mindestens 25 % des langfristigen EU-Haushalts (2021-2027) in den Klimaschutz investiert werden sollen, das entspricht etwa 485 Mrd. Euro. Rechnet man von 2027 bis 2030 weiter, sollen insgesamt 503 Mrd. Euro und somit etwa 50 % des benötigten Geldes aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden. Der Haushalt muss jedoch noch beschlossen werden und das dürfte insbesondere aus drei Gründen gar nicht so einfach werden:
- Erstens: Der leidige Brexit.
Durch das Ausscheiden des Vereinigten Königreichs aus der EU fehlen bis 2027 etwa 78 Mrd. Euro im EU-Haushalt. Noch ist nicht geklärt, wie diese Lücke gefüllt werden soll. - Zweitens: Die Entscheidung über den Haushalt muss unter den Mitgliedstaaten einstimmig verabschiedet werden.
Der Austritt des Vereinigten Königreichs hat die Diskussion zwischen Nettozahlern und Nettoempfängern verschärft. Die „sparsamen Fünf“ stehen dabei den „Freunden der Kohäsion“ gegenüber. Während die einen nicht mehr einzahlen möchten, sind die anderen nicht bereit, zugunsten des Kampfes gegen den Klimawandel Kürzungen bei der Kohäsionspolitik hinzunehmen. - Drittens: Neben den Mitgliedstaaten muss auch das Europaparlament dem langfristigen Haushalt zustimmen.
Die Parlamentarier haben dabei schon angekündigt, einen „Friss oder Stirb“-Vorschlag des EU-Rats nicht zu tolerieren.
Also gesetzt dem Fall, alle beteiligten Akteure einigen sich auf einen EU-Haushalt und die angekündigten 503 Mrd. Euro werden tatsächlich bereitgestellt, gilt es noch weitere, knapp 500 Mrd. Euro aus privaten und zusätzlichen öffentlichen Mitteln zu mobilisieren. Einer besonderen Rolle kommt dabei der Europäischen Investitionsbank (EIB) zu. Sie soll in eine „European Climate Bank“ umgewandelt werden und die Vergabe von Krediten für „grüne“ Projekte verdoppeln (bis 2025 von 25 % auf 50 %).
Die zusätzlichen Finanztöpfe
InvestEU
Der eigentlich umstrittene Juncker-Fond erfährt hinsichtlich der Mobilisierung der verbliebenen 500 Mrd. Euro eine Renaissance. Er ist Vorbild und Vorgänger des Investitionsprogramms „InvestEU“. Die Idee ist, dass unter Zuhilfenahme geringer Mengen aus dem EU-Haushalt und aus der EIB, Garantien vergeben werden die Investitionen absichern und so interessanter machen. In der Folge sollen private und öffentliche Investitionen in zigfach höherer Menge mobilisiert werden. InvestEU soll also als eine Art Katalysator fungieren und auf diese Weise 279 Mrd. Euro für den European Green Deal lukrieren.
Nationale Kofinanzierung
Weitere 114 Mrd. Euro sollen durch die nationale Kofinanzierung von Projekten zusammenkommen. Damit sind Gelder gemeint, die die Mitgliedsstaaten bereitstellen müssen, um überhaupt bestimmt EU-Mittel abrufen zu können.
Just Transition Mechanism
Mit etwa 100 Mrd. Euro nicht den größten Posten, aber doch Herzstück des European Green Deal, bildet der Just Transition Mechanism (JTM). Der JTM soll einen „gerechten“ Übergang zu einem klimaneutralen Europa ermöglichen, weshalb er oft auch – der Kreativität der Kommission sind keine Grenzen gesetzt – „Mechanismus für einen gerechten Übergang“ genannt wird: Jene Regionen Europas, die von dem Ziel der Klimaneutralität noch besonders weit entfernt sind, beziehungsweise auf dem Weg zu diesem Ziel größere Herausforderungen zu bewältigen haben als Andere, sollen mittels des JTM unterstützt werden. Er wird daher der Kohäsionspolitik der EU beigeordnet.
Kernstück des JTM bilden dabei die „Gebietsspezifischen Pläne für den gerechten Übergang“. In ihnen sollen zunächst die sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Herausforderungen, die sich aus der Einstellung treibhausgasintensiver Prozesse oder Produktion ergeben, dargestellt werden. Sie sollen außerdem eine Art „Masterplan“ für die Umgestaltung enthalten, in welchem die Erfordernisse, Zeitpläne, geplanten Maßnahmen und Steuerungsmechanismen festgeschrieben sind. Wird dieser Masterplan nicht durch die Kommission genehmigt, ist es dem jeweiligen Mitgliedsstaat auch nicht möglich, von Mitteln aus dem JTM zu profitieren. Die JTM beruht dabei auf drei Säulen:
- Der Just Transition Fond (JTF) soll Gebieten, die stark abhängig von der Kohle-, Braunkohle-, Ölschiefer- und Torfproduktion sowie Regionen mit treibhausgasintensiven Industrien zugutekommen. Um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, stehen diese Regionen vor teils massiven Umbrüchen. Um diesen so sozialökonomisch verträglich wie möglich zu gestalten, wurde der JTF entwickelt. Die Finanzierung des JTF basiert auf der Idee, nationale Kofinanzierung und kohäsionspolitische Maßnahmen zu verzahnen. Der JTF wird zunächst mit 7.5 Mrd. Euro aus dem neuen EU-Haushalt ausgestattet. Diese Mittel werden zusätzlich, zu den bereits im Kommissionsvorschlag für den langfristigen EU-Haushalt vorgesehenen, bereitgestellt. Anschließend sollen die Mitgliedstaaten für jeden Euro aus dem JTF mindestens 1,5 und höchstens 3 Euro aus dem Europäischen Fonds für einen regionale Entwicklung und dem Europäischen Sozialfond Plus erhalten. Diese Ausgaben aus dem EU-Haushalt sollen dann außerdem durch nationale Kofinanzierung, gemäß der kohäsionspolitischen Vorschriften, ergänzt werden. Auf diese Weise sollen 30-50 Mrd. Euro mobilisiert werden.
- Neben dem oben vorgestellten InvestEU, ist unter dem Dach des JTM außerdem eine spezielle Regelung zugunsten der am stärksten betroffenen Regionen angesiedelt – also eine Art zweites InvestEU, das nach denselben Mechanismen wie das oben vorgestellte funktioniert, jedoch dem JTM und seinem Ziel, einen gerechten Übergang zu ermöglichen beigeordnet ist. Investoren sollen also dazu motiviert werden, nicht nur „grün“ zu investieren (“normales” InvestEU s.o.), sie sollen außerdem gezielt in die am stärksten betroffenen Regionen hineinwirken (spezielle Regelung, siehe hier). Ziel hierbei ist, die Beendigung umweltschädlicher Wirtschaftstätigkeiten in den Gebieten durch das Entstehen neuer Branchen zu kompensieren und gezielt Investitionen in diese zu lenken. Im Gegensatz zum JTF werden die Investitionsförderungskriterien von InvestEU breiter verstanden – so sind damit neben der Finanzierung von Energie- und Verkehrsinfrastrukturprojekten auch Investitionen in die soziale Infrastruktur und Qualifizierungsmaßnahmen gemeint. Die Kommission geht davon aus, dass durch den Katalysator InvestEU (spezielle Regelung) weitere 45 Mrd. Euro lukriert werden, hierfür sollen 1,8 Mrd. Euro an Garantien aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden.
- Durch eine vom EU-Haushalt abgesicherte Darlehensfazilität bei der EIB sollen weitere 25-30 Mrd. Euro aus dem öffentlichen Sektor mobilisiert werden. Eine Darlehensfazilität ist dabei – vereinfacht gesagt – ein gewährter und bereitstehender Kreditrahmen. Öffentlichen Einrichtungen soll es durch die Fazilität ermöglicht werden, Maßnahmen zu ergreifen, die den Übergang zur Klimaneutralität erleichtern. Die Darlehensfazilität ergänzt die spezielle Regelung von InvestEU: beide werden breit definiert, die Darlehensfazilität soll jedoch gezielt für Projekte und Investitionen gewährt werden, die wenig gewinnträchtig sind und ohne Subventionen nicht finanziert werden könnten. Während die spezielle Regelung von InvestEU also vor allem private Investoren adressiert, sind die Darlehensfazilitäten der EIB an öffentliche Träger gerichtet. Zur Finanzierung sollen 1,5 Mrd. Euro aus dem EU-Haushalt und auf eigenes Risiko gegebene EIB-Darlehen in Höhe von 10 Mrd. Euro bereitgestellt werden. Auf diese Weise sollen im öffentlichen Sektor bis 2027 Investitionen im Wert von 25-30 Mrd. Euro angestoßen werden.
Neue Eigenmittel
Neben den vorgestellten Finanzierungsquellen sollen außerdem noch neue Einnahmeströme bzw. neue Eigenmittel entstehen. Geplant ist, dass durch Zahlungen für nicht recycelte Verpackungsabfälle aus Kunststoff und etwa 20% der Einnahmen aus der Versteigerung von Zertifikaten im Rahmen des EU-Emissionshandelssystems (EHS), dem EU-Haushalt zugewiesen werden sollen. Die Kommission plant so, weitere 25 Mrd. Euro zu lukrieren.
So viel zum Plan der Kommission, doch was ist davon zu halten?
Die EU-Kommission ist abhängig von den Zahlungen der Mitgliedstaaten und plant derzeit mit Milliardenbeiträgen, die von diesen überhaupt noch nicht zugesichert wurden. Der Plan gleicht einem Kartenhaus. Die Kommission hat mit dem Vorschlag des EGD und dem Aufstellen des Investitionsplans einen Aufschlag gemacht und der Ball liegt jetzt im Feld der Mitgliedstaaten. Um den ambitionierten Plan der Kommission umzusetzen, müssen die Mitgliedstaaten das nötige Geld zur Realisierung des EGD bereitstellen und das Eigenkapital der EIB erhöhen, um dieser den nötigen Handlungsspielraum einzuräumen.
Gelingt das nicht, wird Europas „man on the moon moment“ sehr schnell zur Bruchlandung und manifestiert damit die Zerrissenheit der Union. Innerhalb der EU wäre ein Scheitern Wasser auf die Mühlen der Euroskeptiker. Aber auch auf dem internationalen Parkett würde die EU sowie ihr Anspruch, aktuellen Problemen gemeinsam adäquate Antworten entgegenzusetzen, weiter an Glaubwürdigkeit einbüßen.
Gelingt es jedoch, die Vision in die Praxis umzusetzen, würde die EU ihrer selbst auferlegten globalen Themenführerschaft folgen, wegweisend im Kampf gegen die Klimakrise vorangehen und ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen.
Von Anna-Marie Peter B.A.
Studierte in Regensburg Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre und Philosophie. Seit Dezember 2019 ist sie Teil des Shifting Values-Teams in Wien.