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Europa & ich: Laut, fröhlich und mittendrin

Portrait Julia Irländer

Ich bin 35 Jahre alt, habe Sommersprossen und ein lautes Lachen, und ich komme aus Deutschland. Dass ich hier auf die Welt gekommen bin, ist reiner Zufall, ich hätte genauso gut auch irgendwo sonst auf diesem Planeten geboren werden können. Wenn ich auf Formularen das Feld „Herkunft“ ausfüllen muss, empfinde ich es stets seltsam, dort „deutsch“ hineinzuschreiben – viel lieber wäre mir „Mensch“. Ich habe in Österreich studiert, mein Auslandssemester in Paris verbracht und bin dann wieder nach München zurückgegangen. Ich habe mich nie österreichisch, französisch und deutsch gefühlt, sondern immer nur wie ich selbst. Laut, fröhlich und mittendrin.

Nie in meinem Leben hat es mir an warmer Kleidung gemangelt, ich hatte immer ein Dach über dem Kopf, einen Platz zum Schlafen und etwas zu essen. Die ungemütlichsten Nächte, die ich in meinem Leben verbringen musste, waren die in einem Zelt auf dem Lieblingsfestival. Ich war nie gezwungen, mein Zuhause zu verlassen, um Essen zu betteln oder Ozeane zu durchschwimmen. Menschen, die das tun müssen, sind voller Angst, aber vielleicht auch voller Hoffnung: weil sie in eine Welt schwimmen, in der es ihnen vielleicht besser gehen wird, wo kein Krieg herrscht, sie Arbeit finden, wo sie ihren Kindern eine warme Mahlzeit kochen und sie zur Schule bringen dürfen. Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen, als ich mitten im Studium mit 1,24 Euro auf dem Konto meine Mama angerufen habe, diese sofort ins Auto stieg, mir 200 Euro vorbeibrachte und mich zum Essen einlud. Damals gefühlt für mich ein kleiner Tiefpunkt, objektiv betrachtet wohl eher ein Luxusproblem.

Inzwischen bin ich selbst Mama und es vergeht kaum ein Tag, an dem ich nicht meine Kinder anschaue und mir denke: Was haben die beiden nur für ein Glück, dass sie in diesem Land geboren wurden und hier aufwachsen dürfen. In einem sicheren Land hier in Europa, dem es wirtschaftlich gut geht, in dem Frieden herrscht. Natürlich kann man nicht alle Länder der EU über einen Kamm scheren, nicht allen geht es gleich gut, die Arbeitslosigkeit ist hier höher und dort niedriger. Aber es geht um das große Ganze, von dem wir ein Teil sein dürfen. Um gleiche Werte, Ziele, für eine bessere Zukunft. Es geht darum, den Herausforderungen unserer Zeit mit vereinter Kraft begegnen zu können und gemeinsam nach Lösungen zu suchen – sei es für den Klimaschutz, den Tierschutz oder den stetigen Veränderungen, die der digitale Wandel so mit sich bringt. Vielleicht treffen die Auswirkungen der Erderwärmung nicht meine Kinder direkt, und auch nicht deren Kinder. Aber irgendeine Generation meiner Enkelkinder wird es zu spüren bekommen, und das macht mir große Angst. Ich bin sehr froh, dass wir nicht allein auf weiter Flur sind, um dagegen etwas zu unternehmen, sondern dass wir versuchen, als vereintes Europa in eine Richtung zu schauen.

Wer braucht schon Grenzen auf dieser Welt, wenn es doch um die Welt als solches geht. Wir haben nur diese eine, also sollten wir achtsam mit ihr umgehen. Mut, Dinge verändern zu können, keine Angst vor Unbekanntem haben, sondern neugierig und aufgeschlossen sein. Toleranz, Menschlichkeit und Miteinander, das würde ich meinen Kindern gerne mit auf den Weg geben. Sich mit all seiner Kraft einzusetzen für etwas, das einem am Herzen liegt. Und dabei wissen, dass sie ein starkes Europa hinter sich haben, das gemeinsam an einem Strang zieht und nach vorne blickt.

Julia Irländer lebt in München und arbeitet in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit bei einem gemeinnützigen Verein zur Förderung der Kinder- und Jugendkultur. Privat ist sie Mama von Zweien, Katzenmama und so gut wie immer mit dem Fahrrad unterwegs. Seit 2017 bloggt sie auf schlafraubtiere.de über ihren Familienalltag und macht gemeinsam mit einer lieben Freundin seit Herbst 2018 den Familienpodcast „Drei Jahre wach“.

Mehr von Julia unter www.schlafraubtiere.de und www.dreijahrewach.de
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